Drei Inseln, drei Seelen – Hawaii zwischen Feuer, Nebel und Erinnerung
- Anja Horn

- 4. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Ich hatte keine Erwartungen. Nur dieses alte Fernwehbild: Vulkane, Hula, Palmen. Doch Hawaii hat meine Vorstellung nicht bestätigt. Es hat sie auseinandergenommen, seziert, neu zusammengesetzt. Big Island, Maui und Oʻahu – das sind keine Urlaubskulissen. Das sind Gefühlswelten.
Big Island
Ich wusste, dass Big Island größer ist als alle anderen hawaiianischen Inseln zusammen. Was ich nicht wusste: wie viele Gesichter sie hat. An einem Tag fuhr ich durch sattgrünen Regenwald, vorbei an moosüberwachsenen Felsen und tosenden Wasserfällen, die sich in tiefe Schluchten stürzten. Am anderen stand ich inmitten von schwarzem Lavagestein – rau, endlos, still. Zwei Landschaften wie Tag und Nacht. Zwei Seelen – gegensätzlich und doch aus demselben Ursprung. Die Erde dampfte, das Meer brodelte, die Luft vibrierte. Es fühlte sich an, als wäre die Insel gerade erst entstanden und würde dich beim Gehen weiterformen. Die schwarzen Lavafelder wirkten wie eingefrorene Wellen, eine Momentaufnahme des Werdens. Dazwischen erstes Grün, als würde die Natur langsam zurückatmen. Im Volcanoes-Nationalpark roch es nach Schwefel und Aufbruch. Die Kraft der Elemente war keine Metapher. Sie kroch in die Sohlen, legte sich in den Brustkorb, blieb in der Stille nach dem Grollen. Ich erinnere mich an das Vibrieren unter den Füßen, als hätte der Boden selbst noch nicht entschieden, ob er ruhig bleiben will.
Mit dem Helikopter über dem Vulkan zu fliegen, war wie in einen lebendigen Herzschlag zu blicken – roh, ungeschönt, atemberaubend. Unter mir bebte die Erde leise, Rauch stieg aus dem Krater. Ich saß still, weil alles in mir staunte. Ich sah das Glühen unter der Kruste, die Wucht, mit der diese Insel atmet.
Big Island hat mir nicht einfach gefallen. Sie hat sich eingebrannt.
Maui
Maui hat mich nicht überrumpelt. Sie hat mich langsam umarmt. Die Luft roch nach Salz und Blüten, als ich am Flughafen ankam. Im Grand Wailea wurde ich mit einem Orchideen-Lei empfangen – kein Showmoment, eher wie ein stilles Willkommen im Paradies. Der Pazifik war warm, fast körpernah. Die erste Welle trug mich hinaus und nahm mit, was nicht bleiben musste. Am Morgen war da nur das leise Rauschen und ein Gefühl von Weite. Auf der Road to Hana zählte nicht das Ziel, sondern der Fluss der Kurven. Wasserfälle, dichter Regenwald, das tiefe Grün – jeder Halt fühlte sich an wie ein kleines Loslassen. Im I‘ao Valley saß ich auf einem moosigen Stein, umhüllt vom Nebel. Alles wurde leiser. Der Haleakalā hat mir gezeigt, wie weit oben Stille reichen kann. Ich war spät dran, verpasste den Sonnenaufgang. Trotzdem war es einer der eindrucksvollsten Orte meines Lebens. Die Aussicht war da – nur anders.
Der Strand von Wailea? Weiß, weich, weit. Die Wellen stark genug, um mich kurz atemlos zu machen. Abends Live-Musik, Cheeseburger, Ananas-Eis. Aber nichts davon laut. Alles eingebettet in diesen Rhythmus, den Maui vorgibt, wenn man zuhört.
Maui fragt nicht: „Was willst du sehen?“ Sie fragt: „Was willst du fühlen?“
O'ahu
Oʻahu hat mich nicht empfangen. Oʻahu hat mich überrollt. Honolulu war dichter, greller, rastloser als erwartet. Hochhäuser bis zum Horizont, Staus im Aloha-Hemd. Vom Magnum-Gefühl blieb erstmal nur der Straßenlärm. Waikiki war wie ein Tropfen Parfum zu viel – betäubend, glänzend, irgendwie fremd. Im Hilton Hawaiian Village fühlte ich mich wie in einem tropischen Hauptbahnhof. Menschen, Läden, Stimmen, Plastikbecher mit To-go-Frühstück. Das Aloha-Feeling? Abgepackt in Folie. Mein europäischer Urlaubsmodus stand still. Aber dann: ein Mietwagen. Eine alte Straßenkarte, gekauft in einem kleinen Shop nahe der Kalakaua Avenue. Kein GPS. Nur Finger auf Papier und das Gefühl, wieder zu lernen, wie man sich findet. Je weiter ich fuhr, desto mehr löste sich etwas. Die Küstenstraße schlängelte sich nah am Meer, ohne Leitplanken, ohne Eile. Rechts ranfahren, Schuhe aus, barfuß in warmes Wasser. Plötzlich war sie da, diese Freiheit, die man nicht buchen kann. Nicht im Hotel, sondern draußen. Zwischen North Shore und Kualoa Ranch wurde das Meer zur Leinwand. Als würde es dir zeigen wollen, was du fast vergessen hast. Waimea Valley: sattgrün, still, fast feierlich. Am Ende ein Wasserfall, der rauschte wie eine Erinnerung. Oben auf dem Diamond Head: staubige Stufen, weite Sicht. Unten in Chinatown: bunte Wände, volle Teller, Menschen im Fluss.
Am Abend leuchtete Honolulu. Ich saß bei Tommy Bahama, Mai Tai in der Hand, und wusste: Diese Insel ist nicht einfach. Aber sie bleibt.
Jede Insel hat etwas in mir zurückgelassen. Kein Souvenir, das man ins Regal stellt, sondern ein feiner Riss in der Fassade des Gewohnten. Hawaii war kein Urlaub. Es war ein Spiegel. Nicht glatt, nicht bequem – aber ehrlich. Ich kam mit einer Liste. Ich ging mit einem starken Gefühl. Als hätte der Wind der Inseln etwas mitgenommen – und mir im Gegenzug einen neuen Blick dagelassen.








